Ein Porträt

von Werner W. Engelhardt

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Akademie, in dessen Ausgabe 2/2009 der nachstehende Artikel erschien.

Johann Heinrich von Thünen wurde am 25. Juni 1783 als erstes Kind eines nicht-adligen Marschhofbesitzers in Canarienhausen/Oldenburg geboren. Er kam in einer Zeit großen politischen Umbruchs, der die deutschen Länder allerdings zunächst noch wenig veränderte, zur Welt. Nach dem Besuch der Ortsschule, wo er speziell im Fach Mathematik schon bald mehr wusste als sein Lehrer, folgte eine Ausbildung an der „Hohen Schule“ von Jever sowie eine für ihn nützliche, aber als unattraktiv empfundene praktische landwirtschaftliche Lehre. Erst 1803, beim Besuch der bereits betont wissenschaftlich ausgerichteten Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Großen-Flotbek bei Hamburg, die vom Hamburger Großkaufmann Baron Caspar Voigt angeregt worden war und von Lucas Andreas Staudinger gegründet und geleitet wurde, lebte Thünen auf. Hier kam ihm bereits die Idee zu seinem späteren wissenschaftlichen Hauptwerk, das den nicht sofort eingängigen Titel trägt „Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie“. In einem Aufsatz, der bereits die Genialität seines Verfassers erkennen lässt, beschrieb er eingehend die Landwirtschaft des Dorfes Großen-Flotbek.

Zu den gravierenden Umwälzungen der damaligen Gegenwart, welche die Landwirtschaft allerdings weltweit, von Großbritannien einmal abgesehen, zunächst noch wenig veränderte, gehörten sowohl der gerade zu Ende gehende nordamerikanische Unabhängigkeitskrieg als auch die sechs Jahre später ausbrechende große Französische Revolution. Beide Ereignisse begünstigten – wie man weiß – die Ablösung des Feudalismus und auch des vor allem britisch beeinflussten merkantilistischen bzw. in Mitteleuropa kameralistischen Wirtschaftssystems. In der Folge führten die Veränderungen im Westen des Kontinents zur Staatsform der Demokratie, zum Manchester- Liberalismus und auch zu der gegensätzlichen Strömung des utopischen Frühsozialismus. Für Thünen bedeuteten die politischen Ereignisse, die er als Heranwachsender schon weitgehend zur Kenntnis nahm, mehr als die Registrierung bloßer Randdaten künftigen eigenen Handelns. Sie führten ihn dazu, dass er sehr bald schöpferisch, im Sinne neuartiger liberaler Lösungen tätig werden konnte. Sein Wirken geschah – nach relativ baldigem Abschluss der Ausbildung und seiner frühzeitigen Verheiratung – zunächst als Erbpächter und Besitzer von Landgut Rubkow, von 1810 bis 1850, dann als langjähriger Eigentümer und unternehmerisch tätiger Landwirt von Landgut Tellow, beide Güter im damaligen Großherzogtum Mecklenburg gelegen. Von Anfang an aber arbeitete Thünen zugleich als Wissenschaftler, und zwar einerseits der naturwissenschaftlich und vor allem ökonomisch begründeten Agrarwissenschaften sowie der sich in ersten Ansätzen ausbildenden Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, vor allem aber zum anderen als verständnisvoller Experte verschiedener Einzelgebiete der theoretischen Nationalökonomie und der statistisch vergleichenden Länderkunde. Seine erste Großtat betraf 1817 ein Gutachten über die Einführung eines Kreditinstituts in Mecklenburg in Analogie zu den preußischen „Landschaften“, jedoch mit abweichenden spezifischen Unternehmens-Merkmalen. Statt eines Staatsunternehmens gemeinwirtschaftlicher Art ging es dem jungen Tellower Praktiker und Wissenschaftler um ein frei-gemeinwirtschaftliches, genossenschaftsähnliches Institut. Die bald darauf erfolgte Gründung des „Credit-Vereins“ stellte einen vom Landesherrn verordneten Zusammenschluss von großen Landgütern in öffentlich-rechtlicher Form dar, unter zwangsgenossenschaftlicher Haftungsübernahme der beteiligten Gutsbesitzer. Bei dem Vorhaben ging es um die Ermöglichung der Ausgabe börsengängiger Pfandbriefe, die der langfristigen Investitionsfinanzierung ländlicher Strukturmaßnahmen dienen sollten.

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