Verteilungstheorie

In der Verteilungstheorie des Zweiten Hauptteils verlegt Thünen den Ort der Entscheidungen zur Lohn- und Zinsbestimmung in die Wildnis, d. h. an den Rand des Konstruktivmodells, wo Land in unbegrenzter Menge vorhanden ist, wie in der damaligen Wirklichkeit tatsächlich noch in Amerika. Auf diese Weise scheidet der Boden als durch die Landrente zu entlohnender Produktionsfaktor aus, und der Autor kann sich allein auf die Verteilung des erzeugten Produkts auf die Faktoren Arbeit und Kapital konzentrieren. Außerdem hat die freie Verfügbarkeit des Bodens den für Thünen sehr wichtigen Vorteil, dass der Interessengegensatz zwischen abhängigen Lohnarbeitern und den Landbesitzern aufgehoben wird. Jeder Lohnarbeiter kann sich nun nämlich jederzeit selbständig machen, sofern er als „Arbeiter ohne weiteren Beisatz“ – wie ihn Thünen nennt – in den Besitz von Geldkapital gelangt ist, d. h. er zum investierenden Arbeiter (E. Helmstädter) bzw. zum Kapitalarbeiter (U. van Suntum) geworden ist. In einem sehr präzise durchgeführtem gedankenexperimentellen Prozess mikroökonomischer Art mittels einer sich genossenschaftsartig formierenden Gruppe von Arbeitern beschäftigt sich Thünen dabei vor allem mit der Frage, bei welchem Lohnniveau ein neu errichtetes Landgut die maximale Rente für die das Geldkapital bereitstellenden Arbeiter erreicht. Die Antwort im Sinne seiner berühmten √ap ¬-Formel lautet, dass nur ein mittlerer, am geometrischen Mittelwert orientierter Arbeitslohn für jeden das Realkapital schaffenden Arbeiter ein Rentenmaximum für den das Geldkapital bereitstellenden Arbeiter ermöglicht. Dieses Ergebnis erreicht von Thünen zunächst allein durch den Einsatz der Differentialrechnung. Später arbeitet er auch mit wiederum auf empirisches Tellower Zahlenmaterial gestützten Rechnungen tabellarischer Art, wie wir sie heute als ökonometrische Aussagen empirischer Theorie bezeichnen.

Thünen fragt auch, wie hoch sich die optimale Kapitalausstattung bei völlig rationell, d. h. auf maximalen Reinertrag abzielender Landwirtschaft stellt, wobei er zum Entdecker der entscheidungslogischen Gesetzesaussage sinkender Grenzproduktivität des Kapitals geworden ist. Der Kapitaleinsatz wird nach seinen Worten nämlich solange gesteigert, bis der Ertrag des zuletzt angelegten Kapitalteilchens gerade noch den Zinssatz deckt. Aber nicht bloß bei den einzelnen landwirtschaftlichen Operationen, sondern auch bei der Wahl eines niedrigeren oder höheren „Wirtschaftssystems“ im Ganzen – in welchem der höhere Ertrag durch einen vermehrten Kapital- und Arbeitsaufwand erkauft wird, kommt es seinen Aussagen nach darauf an, die jeweils korrespondierenden Glieder aufzufinden, um den Punkt zu Marginalanalysen – nach Schumpeter einem der größten Schritte auf dem Wege der Nationalökonomie überhaupt – besonders deutlich entwickelt. Der Autor blieb wissenschaftstheoretisch aber auch an diesem Punkt methodologisch noch nicht stehen. Vielmehr entwickelte er, vermutlich unter dem kritischen Einfluss Kants und freilich angeregt auch durch die revolutionären Strömungen der Zeit, schon ein Stück betont sozial-ökonomischer institutionalistischer Praxis und Forschung mit viel Verständnis für eine betriebliche Sozialpolitik zugunsten der Arbeitnehmer.

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